„Wo Worte fehlen, lass die Farben sprechen!“
Ein Kind, ich nenne es Mia, kam zu mir in die Praxis und malte Corona-Viren - wie auch viele andere Kinder in der Anfangszeit der Pandemie. In den letzten zwei Jahren erlebten wir alle die Pandemie als Bedrohung. Die Angst war allgegenwärtig.
Jeder Malprozess an sich wirkt bereits entlastend. Mia aber verspürte an diesem Tag nicht ausreichend Erleichterung durch das Gestalten, durch das Malen. Wut und Angst waren weiterhin spürbar. Es war wichtig, diese Gefühle wahrzunehmen, anzunehmen, anzudocken und zu begleiten.
Schließlich konnten wir gemeinsam Entlastung erreichen, indem das Mädchen die Viren mit Seifenwasser vom Blatt wusch. Durch das Aktiv- Werden, durch das Wirksam-Werden, fand das Kind den Weg aus der Hilflosigkeit.
Peter war wütend. Im Umgang mit anderen Kindern reagierte er oft übermäßig impulsiv und fand sich deshalb in der Gruppe schwer zurecht. Das Kind baute einen Vulkan und ließ diesen wiederholt ausbrechen, dabei nahm er nach und nach wahr, welches Gefühl dabei im Körper vorgeht, wo das Gefühl liegt, und es gelang ihm, dieses zu verbalisieren. Es wurde ihm so lange die Möglichkeit gegeben, dem Gefühl nachzuspüren und es auf spielerischer Ebene auszuleben, bis das Kind den Vulkan nicht mehr brauchte, um auch im Alltagsleben das Gefühl der Wut zu erkennen. Der Schritt der Wahrnehmung und Erkennung war erreicht. Im nächsten Schritt ging es darum, im Alltagsleben Wege der Wutregulierung zu finden, die für das Kind und dessen Umgebung lebbar waren.
Im kunsttherapeutischen Setting erleben die Kinder Entlastung und es werden gemeinsam individuelle Wege erarbeitet, Gefühle und Emotionen in adäquater Form im Alltag zu leben. Als Mal- & Gestaltungstherapeutin begleite ich die Kinder auf diesem Weg.
Die Mal- & Gestaltungstherapie, die Kunsttherapie, ist eine Therapieform, die der besonderen Ausdrucksweise von Kindern entgegenkommt.
Kinder sind fühlende Wesen und oftmals fehlt es an Worten, um das auszudrücken, was im Inneren vorgeht.
In der Begleitung kommen je nach Interesse des Kindes vielfältige Methoden zum Einsatz:
Malen, Modellieren, Ausdrucksmalen, Kreide, Buntstifte, Ton, Wolle, Filz, Kinderspielschaum, Sand, Kleisterfarbe, selbsthergestellte essbare Farbe, Schleichtiere, Murmeln, Naturmaterial, das therapeutische Rollenspiel usw.
In der kunsttherapeutischen Begleitung wird dem Kind ein wertfreier, geschützter Rahmen geboten, in dem es spielerisch vielfältige kreative Erfahrungen machen kann. Durch das individuelle, kreative Angebot werden die Eigenwahrnehmung, die Gefühlswahrnehmung und in weiterer Folge der Gefühlsausdruck unterstützt.
Nach und nach entwickelt das Kind in einer sicheren Umgebung Vertrauen und die Fähigkeit, zu spüren, auszudrücken und zu verbalisieren, was es braucht. Plötzlich kann das Gefühlsknäuel im Bauch entwirrt werden: Sorgen, Ängste, Wut, Belastungen, Traurigkeit, Scham, Trauer, Einsamkeit, Freude, Zufriedenheit, Geborgenheit, Ausgeglichenheit, Aufregung, Glücksgefühle und vieles mehr kommen zum Vorschein… Jedes Gefühl ist in Ordnung, darf sein und kann ausgelebt werden.
Die Bilder, die sich zeigen, werden nicht bewertet, denn der Schwerpunkt liegt auf dem Mal- und Gestaltungsprozess. Dadurch erfährt und spürt das Kind, dass sich jedes Thema zeigen darf.
Die Welt, in der unsere Kinder leben, kann sehr bedrohlich sein.
Dr. Udo Bear, ein bekannter Therapeut aus Deutschland, schreibt in vielen seiner Bücher, dass Kinder mit Ängsten und traumatischen Erfahrungen sich aus der Welt geworfen fühlen. Sie reagieren mit Wut, Aggression, ziehen sich zurück oder resignieren. Auf dieses Verhalten wird im Alltag meist mit Unverständnis reagiert, da sich die betroffenen Kinder im Klassenverband oder Kindergarten nicht gruppenadäquat verhalten. Sie fallen auf, sind laut, zeigen aggressives Verhalten, stören oder aber sie werden übersehen, da sie sich in sich selbst zurückziehen.
Umso wichtiger ist es, auf das Kind zu reagieren, anzudocken und es zu begleiten. In der Therapie werden die Gefühle wahrgenommenen, ausgesprochen und es gelingt anzudocken.
Die Gefühlswelt des Kindes wird gespiegelt, indem ich ausspreche, was ich wahrnehme: "Kann es sein, dass du gerade sehr verzweifelt bist?", "Ich sehe, dass du Angst hast." usw. Das Wahrnehmen und das Aussprechen der Gefühle geben dem Kind Sicherheit und Halt.
Auch Wutbilder, Bilder des Schreckens, der Traurigkeit und Tabus haben Raum, so wird die Möglichkeit geschaffen, die belastenden inneren Bilder nach außen zu bringen und Entlastung zu erfahren.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil in der Begleitung ist das Wahrnehmen der Ressourcen des Kindes, da das Kind so gestärkt wird. Nun werden Sätze wie: „Ich bin dumm.“ durch andere ersetzt.
„Ich kann gut Geschichten erzählen.“ „Ich kann gut hüpfen.“, „Ich kann gut kuscheln und einen Purzelbaum schlagen.“ ……
Neue Kommunikationswege werden entwickelt, Bedürfnisse wahrgenommen und verbalisiert.
Kunsttherapie ist eine Therapieform, bei der die Klient*innen aktiv sind, ins Tun kommen und somit erfahren, dass sie etwas bewirken können. Die Selbstwirksamkeit wird somit gestärkt und der Weg aus der Hilflosigkeit hat begonnen. Mal- & Gestaltungstherapie wirkt, besonders dort, wo Sprache fehlt!
Die Kunsttherapie arbeitet mit dem gesunden Menschen und ersetzt keinen Besuch bei Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen.
Die Namen der Kinder sind abgeändert.
Buchempfehlung:
Die Weisheit der Kinder von Udo Bear, Klett-Cotta